Chorgesang im Gottesdienst

„Nie war er so wertvoll wie heute!“ – Dieser Satz aus der Werbung kommt mir in den Sinn, wenn ich heute über Chorgesang im Gottesdienst nachdenke. Mit der Gemeinde zu singen ist uns derzeit nicht möglich. Die Gefahr, dass dabei das Corona-Virus über die Luft übertragen wird, weil diese beim Singen viel stärker ausgestoßen wird als beim Sprechen, ist einfach zu groß. Singen dürfen derzeit nur einzelne und kleinere Gemeinschaften, die 3 Meter Abstand halten. Das geht bei kleinen Chören. Deshalb: Nie war der Chorgesang so wertvoll wie heute!

Aber nicht nur in solchen Zeiten des Verzichts ist Chorgesang im Gottesdienst etwas Besonderes. Es ist allein schon gut und schön, auch einmal in der Zuhörerrolle bleiben zu können. Sich selbst hört man anders singen (und sprechen), als wenn man die Stimme eines anderen hört. Vielleicht erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie Ihre eigene Stimme von einem Tonband hörten – das war befremdlich. Und beim Hören brauche ich mich nicht selbst anzustrengen, ich muss nicht den Ton, die Spannung halten, ich muss nicht Noten und Text lesen, ich darf mich zurücklehnen und hören.

Sodann wird der Chorgesang von geübten Sängerinnen und Sängern gestaltet. Deren Stimmen haben Formung erhalten, selbst wenn sie keine Profis sind. Den Unterschied zu einer gut singenden Gemeinde sollte man hören.

Und schließlich spielt dann natürlich die Mehrstimmigkeit eine Rolle. Sie bringt einen Text und dessen Aussage, ja auch dessen Stimmung noch stärker zum Ausdruck. Der Tonsatz sorgt mit seinen Harmonien dafür.

Manche vermuten, der Mensch sei vom Gesang der Vögel zum Singen angeregt worden. Dem menschlichen Körper war schon immer mit dem Sprechorgan, den Stimmbändern, die Möglichkeit zum Singen gegeben, das ergab sich also gleichsam von selbst. Darüber hinaus entspringt es dann der menschlichen Kreativität, dass mehrstimmiger Gesang entsteht.

Wie manch anderes auch haben wir den Gesang aus dem Judentum übernommen. Dort war das Musizieren mit Instrumenten üblich. Letzteres aber hat das Christentum zunächst außen vorgelassen. Der Gesang aber hat sich durchgetragen. Der hat sich dann insbesondere im sakralen Raum entwickelt und entfaltet: von der Einstimmigkeit Schritt für Schritt in die Mehrstimmigkeit, von einfachen Melodiebögen in immer aufwändigere Gesänge und in die verschiedenen Stilepochen hinein. Schließlich hat das Singen – wie die Kunst überhaupt – den Weg in die Welt genommen, den sakralen Raum geöffnet und diesen dann ganz emanzipiert verlassen.

Wenn hier der gute Chorgesang in den Vordergrund gestellt wurde, möchte ich doch den schönen und guten Gemeindegesang nicht aus den Augen und Ohren verlieren. Wir haben in unseren Gemeinden hier in Neustadt eine gute Sing-Kultur. Die Vielfalt im Lob Gottes wird vielleicht dann besonders erlebbar, wenn Chor und Gemeinde zusammen singen, sich abwechselnd die Töne zuspielen oder gar ein Überchor dem Gemeindegesang ein Krönchen aufsetzt. Gotteslob quillt gleichsam über… Gott sei Dank!

Michael Janson