Sprechen Andachten noch an?
Nähmen wir die Besucherzahlen zur Basis für eine Antwort auf diese Frage, müsste sie eigentlich „Nein!“ lauten. Andachten sind aus der Mode gekommen! Wie so vieles war das vor einigen Jahrzehnten noch anders. Weil unsere Kirche – salopp gesagt – ein Traditionsverein ist, tun wir uns schwer damit, solch gewachsene liturgische Formen abzuschaffen.
Und so versuchen wir an jenen Andachten festzuhalten, die sich besonders anbieten: dem Kreuzweg, sowie der Mai- und Rosenkranzandacht im Mai bzw. Oktober. Man könnte noch die Vesper erwähnen, die aber gehört streng genommen nicht zu den Andachten, sondern zum Stundengebet der Kirche.
Was ist der Sinn der Andacht? Wie hat sie sich entwickelt?
Sie hat sich wohl aus dem entwickelt, was den Menschen früher bei der Feier der Eucharistie verwehrt war. Sie wurde in Latein gefeiert, was die „normalen“ Katholiken weder verstehen noch sprechen konnten. Aus dem Bedürfnis, gemeinsam zu beten und zu singen, sowie aus einfachen persönlichen Glaubensvollzügen heraus haben sich so eigene gemeinschaftliche Formen entwickelt. Sie dienten auch der Verehrung des eucharistischen Brotes, aber auch der Betrachtung von einzelnen Stationen im Leben Jesus, so der Kreuzweg oder die letzten 7 Worte Jesu am Kreuz.
Betrachtet man diesen Werdegang und auch den unserer Liturgiereform, so ist es fast verständlich, dass diese Andachten in den Hintergrund treten, wenn genau dasselbe in der Eucharistiefeier erreicht werden soll, dass die Gläubigen aktiv an ihr teilnehmen.
Vielleicht bieten diese Andachten auch dem heutigen Menschen eine wichtige Hilfe. Wo die Erfahrung mit dem persönlichen Beten vielleicht nicht mehr überall vorhanden ist, da könnte das gemeinsame Gebet im Rahmen einer Andacht Anstöße bieten und Erfahrungsräume öffnen.
Und was auch immer wieder betont werden will: die kirchliche Liturgie ist ein weiter und vielfältig gefüllter Raum. Dazu gehört auch die geistliche Musik bis hin zu den großen Oratorien, dazu gehört auch jene Musik, die zwar als weltlich eingestuft wird, die aber oft mit religiösen Motiven spielt. Dieser Raum wird natürlich auch gefüllt durch die Wort-Gottes-Feier, durch ein Lesen und Betrachten der Bilder und Figuren in unseren Kirchen, aber auch durch eine gemeinsam mit „Andacht“ gefüllte Stille. So nehme ich auch unsere Marienkirche wahr, da sie täglich geöffnet ist: als einen mit „Andacht“ gefüllten Raum.
Michael Janson